Ein Glas mit dreißig Leben

Nachhaltigkeit: Eupener Laurent Halmes baut ein Pfandsystem für Mehrweg-Glasverpackungen auf – Zielgruppe sind lokale Produzenten

Laurent Halmes glaubt an eine Welt, in der Joghurt nicht im Plastikbecher, sondern im Glas verkauft wird, das – nachdem es ausgelöffelt wurde – nicht etwa recycelt, sondern gereinigt und wiederbe- füllt wird. Für diese Vision von gelebter Nachhaltigkeit hat der 28-jährige Eupener alles auf eine Karte gesetzt.

Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde: Seit viele Konsu- menten der Umwelt zuliebe von Danone im Plastikbecher auf den Joghurt im Glas vom Bauern nebenan umgestiegen sind, ist zwar der PET-Sack schlanker, stattdessen stapelt sich in der Abstellkammer das Altglas. Der Produzent selbst nimmt die geleerten Gläser häufig nicht zurück, er würde gerne, doch der Aufwand übersteigt seine Möglichkeiten: Er müsste sie nach strengen Hygienevorgaben reinigen und sterilisieren, ehe er sie erneut befüllen könnte.

Wiederverwenden ist besser als Recyceln.

„Wegwerfen ist die einfachste Lösung und meistens auch die günstigste“, schildert Laurent Halmes das Dilemma der heutigen Zeit, unter dem besonders dann die Umwelt leidet, wenn es um Plastikverpackung geht. Doch es gibt auch nachhaltige Beispiele: Die belgische Getränkeindustrie nutzt seit vielen Jahren ein Glaspfandsystem, allerdings nicht ganz selbstlos, wie man dazusagen muss. Dahinter steckt nämlich ein steuerlicher Vorteil von acht Cent pro verkauftem Liter, von dem die Produzenten, die sich dem System anschließen, profitieren.

Immerhin: Viele kleine, regionale Lebensmittelprodu- zenten nutzen bereits Glasbe- hälter statt Kunststoffverpac- kungen, allerdings solche, die, nachdem sie geleert wurden, im Altglascontainer landen. Dabei geht es noch eine Spur nachhaltiger, denn beim Ein- schmelzen von Altglas ent- steht CO2 – mehr noch als bei der Reinigung von Wehrweg- glas in großen Industriespülmaschinen, weiß Halmes, der sich seit Langem intensiv mit allen Aspekten der Materie auseinandersetzt.

Eine wiederverwendbare Verpackung ist nicht immer eine Frage des Willens. „Viele Produzenten suchen nach nachhaltigen Lösungen. Sie würden die Gläser, in die sie ihren Joghurt, Apfelsaft, Brotaufstrich oder Honig füllen, gerne zurücknehmen und wiederverwenden, aber sie haben weder den Platz für eine Waschanlage, die nötig wäre, um die Pfandgläser zu reinigen, noch das Geld oder die Zeit“, gibt er zu bedenken.

Das Pfandsystem ist abgestimmt auf die Bedürfnisse von kleinen Produzenten aus der Region.

Mit „Bring Back“ liefert der junge Unternehmer eine Antwort auf das Bestreben vieler kleiner, lokaler Produzenten nach mehr Nachhaltigkeit in Sachen Verpackung. Der Wirt- schaftsingenieur mit einem Master in Unternehmens- gründung hat für seine Geschäftsidee, die viel mehr eine Vision ist, seinen Job im Projektmanagement eines großen Energielieferanten aufgegeben. „Ziel ist es, den Lebensmittelproduzenten eine Alternative zur Wegwerfverpackung zu bieten, beziehungsweise ihnen den Umstieg auf eine Mehr- wegverpackung zu erleichtern“, erklärt Laurent Halmes.

Was Brauereien in Belgien bereits im großen Stil betreiben, möchte Halmes auch kleinen Produzenten aus der Region ermöglichen: ein Pfandsystem für Mehrweggläser, das kaum zusätzliche Arbeit macht. „Der Produzent muss sich quasi um nichts kümmern“, hebt er den entscheidenden Vorteil seines „Rundumservices“ hervor. Das Prinzip: Er beliefert die Produzenten mit Glasbehältern in unterschiedlichen Größen sowie passenden Deckeln, reinigt die Rückläufer, etikettiert sie mit Hilfe von speziellem wasserlöslichem Klebstoff, um sie dann erneut in Umlauf zu bringen – immer und immer wieder, bis zu 30 Mal. Das ist gut für die Umwelt und schont Ressourcen.

„Am effektivsten funktioniert das System, wenn sich mehrere Produzenten auf ein- und das selbe Glas einigen“, präzisiert Halmes. Auf diese Weise spare er sich das Sortieren.

Die Gläser lässt er derzeit noch von einem anderen Unternehmen nach strengen Normen der Afsca (föderale Agentur für die Sicherheit der Nahrungsmittelkette, auch Fasnk) reinigen und sterilisieren. Damit das Prinzip aufgeht, müssen auch die Verbraucher „mitspielen“, die die Pfandgläser zu Hause gründlich vorspülen und sie anschließend zum Produzenten beziehungsweise zum Geschäft zurückbringen. „Ein bisschen Schwund ist natürlich immer“, lacht Halmes. Logisch, denn Gläser können zerbrechen oder finden aus anderen Gründen den Weg nicht zurück in den Kreislauf.

„Bring Back“ hat sich im ersten Testlauf bewährt.

Gemeinsam mit einem Landwirt aus Bilstain, der seinen selbstgemachten Joghurt bislang im Wegwerfglas verkaufte, hat Laurent Halmes seine zukunftsweisende Idee im Sommer erstmals in die Tat umgesetzt. Rund 300 Gläser gehen jede Woche über die Hofladentheke, die Rücklaufquote liege bei etwa 70 Prozent, und das, obwohl das System während der Testphase zunächst ohne Pfandzuschlag funktionierte. „Das läuft bisher sehr gut“, zeigt sich der Eu- pener zufrieden.

Die Glasbehälter sind übrigens eine Leihgabe, der Produzent zahlt lediglich eine Nutzungsgebühr. Preislich ist das Mehrwegglas rund fünf Cent teurer als das Glas zum Recy- celn. „Der Produzent soll na- türlich nicht weniger verdie- nen, das wäre nicht Sinn der Sache. Stattdessen könnte er seinen Joghurt ein paar Cent teuer verkaufen“, schlägt Halmes vor und ergänzt: „Ich bin davon überzeugt, dass Verbraucher, die Wert auf gute, regionale Produkte legen, auch bereit sind, im Sinne der Nachhaltigkeit diesen geringen Aufpreis zu zahlen. Außerdem ist eine CO2-Steuer im Gespräch. Sollte die kommen, würde die Wegwerf-Glasverpackung teurer werden als das Mehrwegglas.“

„Bring Back“ steht noch ganz am Anfang. Der Hof in Bilstain ist der bislang einzige Kunde, doch viele weitere Pro- duzenten haben bereits großes Interesse bekundet.

Annick MEYS

 

https://www.grenzecho.net/44754/artikel/2020-11-03/bring-back-eupener-baut-mehrweg-pfandsystem-fur-kleine-lokale-produzenten-auf

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